Ich find ihn schwierig, diesen Satz. Ich finde auch die Einstellung schwierig. Und in der Umsetzung bin ich mir auch nicht sicher, wie man das anstellen kann.
Der Satz, von dem ich spreche, ist einer dieser Kalendersprüche, die inflationär verwendet werden. Einer dieser Sprüche, die irgendwie gar nichts mehr meinen, die schon so oft gesagt und viel weniger gelebt werden. Also dieser Satz, von dem ich schreibe: Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter.
Wie gesagt, ich find ihn schwierig, diesen Satz. Ich find ihn auch problematisch, weils halt einfach nicht möglich ist. Und weil es auch nicht real ist, so zu leben. Ich finde, dass solche Sätze (und viele weitere dieser Sprüche) schnell, leicht und ohne viel Nachdenken gesagt werden können, vielleicht auch als Rat oder gut gemeint, sie aber in manchen Momenten eben nicht wirklich ankommen.
Doch heute begebe ich mich tiefer in den Gedanken. Ich überlege, was wäre, wenn das hier mein letzter Tag wäre. Ich würde mich fragen, was ich machen möchte. Wen ich treffen möchte. Was ich noch lösen, mit wem ich mich noch ausreden wollen würde. Ich würde nachdenken, was ich essen und wo ich sein wollen würde. Ich würde mich fragen, in welcher Qualität, welcher Beschaffenheit ich meinen Tag verbringen wollen würde.
Mir fallen viele Dinge ein. Wahrscheinlich würde mein Tag sehr voll sein, weil ich alles erledigen will – macht ja auch Sinn, wie viele letzte Tage hat man denn schon? Und wahrscheinlich würden diese Dinge täglich auch anders aussehen. Je nach Stimmung, je nach Moment. Meine Einschätzung würde auch anders aussehen, je nachdem, ob ich diesen Gedanken am Morgen oder am Abend fasse.
Am Abend würde ich eher zurückblicken, am Morgen vorausplanen. Leichter würde es mir am Abend fallen, einen Tag als „letztwürdigen“ zu ehren.
Wie ich überhaupt auf den Gedanken gekommen bin? Gestern war so ein Tag, an dem ich mir am Abend im Bett gedacht habe: Das wäre ein guter letzter Tag gewesen. Das Thema Endlichkeit war ein großer Begleiter gestern, viele Gespräche drehten sich darum. Der Tag hatte viele rohe, ehrliche, verbindende Momente. Der Tag war langsam, aber nicht stehend. Die Menschen, die um mich waren, sind mir wichtig (obwohl es bei Weitem nicht alle waren, die ich an meinem letzten Tag gesehen haben wollen würde!). Das Gefühl zwischendurch und dann am Abend nach diesem Tag war ruhig, erfüllt und glücklich.
Vorausschauend zu überlegen und vielleicht gar zu planen, was passieren sollte, halte ich für stresserzeugend und kontraproduktiv. Im Nachhinein zu überlegen, was an diesem Tag, in dieser Woche und im eigenen Leben gut läuft und wofür wir dankbar sein können, das halte ich für äußerst sinnvoll.
Um den Bogen wieder zu spannen und den Kreis allmählich zu schließen: Sprüche, die uns zum Nachdenken anregen, find ich nicht schlecht. Ich find sie nur nicht wirklich umsetzbar, im echten Leben. Ich merke, dass sie im übertragenen Sinne gut funktionieren. Dass ihre Essenz sie zu dem macht, was sie sein können: Leitsätze, Dankbarkeitserinnerungen und eine Inspiration zum Innehalten.
Und vielleicht geht es auch genau darum: Immer mal wieder mit mir selbst in den Austausch gehen und feststellen, was es denn ist, wofür ich lebe. Und wenn irgendwie möglich: die Antwort(en) auf diese Frage immer wieder einbauen, in den Alltag, die Wochen und (Lebens-)Jahre…
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