Wenn ich meine Arme hebe, sind darunter Haare zu sehen. Nicht elendslange, aber eben sichtbare Stoppeln bis kurz gewachsene Haare.
Wer sich jetzt schon denkt: Wah, warum soll ich so einen Text überhaupt lesen? Die (oder der) sollte unbedingt und besonders dann weiterlesen. Denn hier gehts um Selbstbestimmung. Um Ermächtigung des eigenen Körpers und um die Zurückgewinnung der Weiblichkeit.
Es war im Sommer letzten Jahres. Ich wollte es einfach ausprobieren. Wollte schauen, wie ich mich damit fühlen würde. Wollte sehen, wie weit und wie lange ich gehen (oder besser gesagt die Haare stehen lassen) konnte und wollte.
Ich hatte bewusst den Sommer gewählt – einen Moment, in dem ich meine Arme oft heben und die Kleidung wenig meiner Achseln verdecken würde. Und so habe ich es getan – oder eben nicht mehr. Ich habe mich eine Zeit lang einfach nicht mehr rasiert. Und diese Option gab es seit ich ca. 14 war für mich (zumindest in meinem Kopf und meiner Umwelt) einfach nicht mehr.
Wie unangenehm das war. Wow.
Nicht das tatsächliche Gefühl, sondern das Gefühl des Gefühls. Die Idee, dass das, was ich hier (nicht mehr) machte, mich weniger weiblich, weniger gepflegt oder weniger selbstfürsorglich scheinen ließ. Macht ja auch Sinn – fast 15 Jahre lang hatte ich brav befolgt, was man von mir als Frau erwartete. Hatte das getan, was „weiblich“, „schön“ und eben so gemacht werden „musste“. (Hu, hier braucht es viele Anführungszeichen.)
Das tatsächliche Gefühl dagegen war befreiend. War gesund (weil ich plötzlich keine juckenden Achseln, rote Punkte oder irritierte Haut mehr hatte). Zuhause war ich sicher. Doch das unbeschwerte Armeheben in Öffentlichkeit – und noch mehr: vor Menschen, die mich kannten – war immer noch befremdlich.
Nach ein paar Wochen (und dem „Extremfall“ – lang gewachsene Haare nämlich), merkte ich auch, wie sich eine Erleichterung einstellte. Die, nicht die Arme krampfhaft gegen den Brustkorb pressen zu müssen, weil da ja was hervorblitzen könnte. Die, den Rasierer vergessen zu können, ohne auf halblustige Einwegkratzer auszuweichen. Und die, nicht gefallen zu müssen. Nämlich niemandem. Außer mir.
Diese Erleichterung war wohl eher eine Erleuchtung. Eine Selbstermächtigung, eine Form von Selbstbestimmung, die ich lange Zeit in dieser Weise nicht mehr hatte.
Ich selbst bestimmte über meinen Körper. Ich selbst bestimmte darüber, wie ich etwas zu tragen oder nicht zu tragen hatte. Ich selbst war es, die die Entscheidung traf, was sie tun und was sie lassen wollte.
Heute ist es so, dass ich meine Haare wachsen lasse, wenn mir danach ist – und sie rasiere, wenn ich es will. Heute ist es so, dass ich mich entscheiden kann. Denn es gibt eine Option – die gleichermaßen angenehm, wohltuend und „in Ordnung“ ist.
Es gibt eine Option – und DAS ist Selbstbestimmung.
Falls dich dieser Text irritiert, lies ihn noch einmal. Lass dir noch einmal sagen, dass Selbstbestimmung nicht von außen kommen kann. Horch noch einmal ganz genau hinein – denn was dich irritiert, sind nicht meine Haare.
Woher kommen unsere Ansichten über „Schönheit“, „Weiblichkeit“, „Gepflegtsein“ und „Selbstbestimmung“ – vor allem im Kontext von weiblich gelesenen Körpern?
Diese Fragen sollten wir uns immer mal wieder stellen – und die Antworten anpassen – an uns selbst, anstatt an unterdrückende, klein haltende, gefährliche und sexistische Systeme.
Denn die Frage ist leider: Warum gibt es so oft immer noch keine Option?