Ich erinnere mich an den Moment, in dem ich genießen gelernt habe. Dieser Moment hat sich in mir eingebrannt, hat sich in mir verfestigt und ist geblieben. Wie das bei Genussmomenten eben so ist. Oder sein kann.
Immer schon habe ich gerne gegessen, Essen genossen und mich gefreut, wenn es gutes Essen gab. Doch dieser eine Moment machte einen Unterschied. Es war fast so, als würde ich von der kindlichen „Lieblingsessens-Genuss-Ebene“ in die erwachsene Welt des bewussten Genießens übergehen. Als würde dieser Moment eine neue Ära einleiten. So, als würde mich selbst nun auch von außen beobachten und wahrnehmen können.
Ich war in die Metaebene des Genießens eingestiegen. Diese Schokolade – es war dunkle Schokolade mit ganzen Haselnüssen – konnte ich mir nicht nur schmecken lassen, sondern auch wahrnehmen, dass ich diese Schokolade in seiner Fülle, seiner Vollmundigkeit, seiner Tiefe schmecken konnte. Ich erinnere mich ganz genau an den Moment. Ich erinnere mich, dass er in der Nestschaukel eines Spielplatzes stattgefunden hat, gemeinsam mit einer ganz lieben Freundin in der Mittagspause vor dem Sportunterricht, an einem warmen Nachmittag – ziemlich genau vor 15 Jahren auf den Tag.
Beim Essen der Schokolade redeten wir über den Geschmack dieser und ließen das Stück (und die vielen, die darauf folgten) auf unserer Zunge zergehen. Wir tauschten uns darüber aus, wir waren ganz aufmerksam und achtsam. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dies den Beginn einer sehr schönen Reise markieren würde. Mir war nicht bewusst, dass mir diese Fähigkeit zu genießen so oft zugutekommen würde. Dass ich diese Fähigkeit in den darauffolgenden Jahren jeden Tag mehrmals anwenden würde, um ganz in den Moment zu kommen. Dass mich das Genießen so begleiten, bestärken und bewusst leben lassen würde – all das war mir an diesem warmen Nachmittag mit 14 Jahren nicht klar.
Und so, wie dieser Moment tief in mir Platz gefunden hat, so sind es die vielen bewussten Genussmomente, die ich beim Reisen, beim Erinnern, beim Innehalten gesammelt habe und die sich in mir abgespeichert haben. Manche mit wenig handfesten Daten oder Fakten, dafür umso gefühlsintensiveren Eindrücken, manche mit Genussnuancen, manche auf ganz anderer Ebene als der Geschmacks- oder Geruchskomponente. Manche Genussmomente waren Körpergenussmomente, Bewegungsgenussmomente, Hörgenussmomente oder Gefühlsgenussmomente.
Doch eines bleibt all diesen Genussmomenten gemein: Sie sind
quasi die Eintrittstickets in die Unvergänglichkeit des Moments
Bacher, Zobel: Vielleicht wird alles viel leichter. 2022.
Das ist übrigens einer der vielen schönen und wie ich finde sehr schlauen Sätze, die es in meinen Buchschatz geschafft hat. Dieses Kunstbuch kommt im August im Verlag Freies Geistesleben heraus. Große, riesengroße Vorfreude! Und ein Genuss, an einem Projekt wie diesem zu arbeiten.
Und um noch einmal zurückzukommen: Das, was ich so richtig richtig, tief und rundum genossen habe, das vergeht nicht. Auch nicht, wenn der Moment 15 Jahre (oder länger) zurückliegt.