Früher bei meiner Oma gab es diese Hefte, die für „Frauen in ihren besten Jahren“ gedacht waren. Diese Illustrierten trugen Frauennamen und waren mit Rezepten, Frühlingsoutfitstips und Kinderbeschäftigungskram gefüllt. Und vorne drauf hatten sie immer eine der Jahreszeit entsprechende Beilage: Sticker (oder wie wir zu sagen pflegten: Pickerl). War es Frühling, gab es Osterhasen und Blümchen-Sticker in all möglichen Pastellfarben, war das Jahr schon fortgeschritten, zierten Schneeflocken und herzförmige Lebkuchenklebefreuden den Streifen, der am Titelblatt angeheftet war.
Das, ihr Menschen da draußen, waren die leichten Pickerl. Die, die wir immer bekamen und die wir nicht einmal teilen mussten, weil es für alle genügend gab.
Doch.
Da gab es auch ganz andere Kategorien von Stickern. Die, die einen Glitzerrand hatten und nur beim Tauschen ergattert oder noch gewagter – nur durch das Runterfutzeln von Geburtstagskarten oder aus Poesiealben erfolgreich in den eigenen Bestand übergehen konnten.
Und dann gab es die, die reliefartige Formen annahmen. Mit und ohne samtigen Bezug oder Glitzer waren es die, die wir heimlich streichelten, als wären sie unsere kleinen, eingeklebten Haustiere. Sie nahmen eine ganz besondere Stellung in unseren Herzen und Stickeralben ein. So besonders, dass sie es nie wieder aus ihnen herausschafften.
Und wieso ich euch so viel von meiner kindlichen Stickerfreude erzähle? Weil es wieder einmal ein recht gutes Bild für etwas bietet, das ich greifbar machen möchte:
Was ich sammle, waren früher Sticker, heute sind es Momente. Und was wie aus einem dieser oben genannten „Frauenhefte“ klingt, meine ich genau so.
Manchmal, da frage ich mich, was wir so tun, während wir leben. Und da kommt mir eine so essenzielle Sache in den Sinn: unsere Sinne. Diese vollst auszukosten und zu nützen, ist höchst sinnvoll.
Wenn ich durch die Straßen und Zeiten ziehe, habe ich so viel zu betrachten und bewundern. Ich spüre die Elemente auf mich einprasseln und hefte die Düfte und Geschmäcker wie Sticker in meinem Erinnerungsalbum ab. Ich bewege mich durch die Welt und sammle einklebenswerte Eindrücke und Stimmungen und oh, davon gibt es zuhauf!
Das Rattern der Schiene unter der Straßenbahn, das wie Prickeln durch meine Fußsohlen zittert. Der intensive Geruch von Zitrusfrüchten beim Einkochen, der in meine Nase steigt und die Farbe Gelb so wunderbar einfängt. Die kaltglitzernden Schneeflocken, die als klitzekleine Wassertröpfchen in meinem Gesicht schmelzen. Der Klang von Gitarren und Perkussion, die so luftige Töne zaubern, dass mich das Lied in Sekundenschnelle auf weite Gebirgsketten transportiert. Das Betasten der fein säuberlich aufgefädelten Perlen, die in Reih und Glied glänzend zu einem Muster angeordnet sitzen. Der erste Schluck Wasser am Morgen, der kalt die Kehle hinunterkriecht und meinen schlafenden Körper aufweckt.
Ob ich diese Eindrücke in leichte, Glitzer- oder gar Reliefpickerl (ergo Momente) einteilen will, frage ich mich gerade. Muss ja gar nicht sein. Gehen tuts eh um das Wahrnehmen und Einkleben. Dann können wir auch die täglich geschenkten Pickerl schätzen, ist doch schön.
Tja. Und so hab ich eine Brücke zu einer fast schon vergessen geglaubten, höchst nostalgischen Leidenschaft geschlagen und gleichzeitig eine Lebensweisheit rausgepulvert. Mehrwert kann sie, diese Pampelmuse.