Auf bald, lieber Geschmack!

Ein Lagerbericht.

Seit 11 Tagen sitze ich in ein und dem selben Raum. Meiner Wohnung. Seit 11 Tagen darf ich nicht hinaus. Seit 7 Tagen bin ich zusätzlich auch noch krank. Und seit 3 Tagen schmecke und rieche ich nichts mehr.

Nichts.

Ja, mich hats erwischt. Ja, uns hats alle erwischt. Nicht so schlimm, zum Glück. Weder Krankenhaus, noch Atemnot. Zum Glück.

Doch diese Begleiterscheinung, dieser Zustand, dieses kaum Vorstellbare, das mit meinem Geschmackssinn los ist, das ist wohl das Ungemütlichste an dieser ganzen Krankheit. Also in meinem (sehr mild verlaufenden) Fall.

Seit 3 ganzen Tagen rieche und schmecke ich also nichts mehr. Ich habs ausprobiert. Hab alles ausprobiert – Kren und Banane und Schokolade und Pfefferminztee. Falafelgewürz und Pancakes, Apfel und Brot. Ich. Schmecke. Nichts.

Und wie das meinen Tag verändert, ja das erzähl ich euch gerne. Ich liebe Essen. Ich liebe gutes, buntes, wohlschmeckendes, selbstgemachtes, gesundes, ausgewogenes Essen. Und ich liebe das Zelebrieren dieses. Ich liebe es, mir extra Gewürzblütenschönheitsgewürz übers Essen zu streuen. Ich liebe es, wenn mein Essen die Regenbogenfarben hat und ich bei jedem Bissen fast vor Freude schmelze. Ich liebe es, mir zu überlegen, was ich denn kochen könnte, um dann festzustellen, dass ich zufälligerweise auch alles dafür zuhause habe.

Und ja. Dieser ganze Teil fällt gerade weg. Weder die Vorfreude, noch die Freude währenddessen, noch das gute Gefühl danach sind im Moment vorhanden. Und so esse ich jetzt eben, weil ich natürlich Essen brauche. Aber statt der unterschiedlichen Farben, Gewürze und Geschmäcker freue ich mich jetzt eben über unterschiedliche Konsistenzen. Und da gibt es viele! Das hätt ich mir vorher gar nicht gedacht! Und noch etwas sehr Interessantes fällt mir beim Essen auf: Die Zunge schmeckt noch immer die Unterschiede „salzig“, „säuerlich“, „bitter“ und „süß“ (Umami leider nicht, für all die Zungenknospenbewanderten unter euch).

Ich hatte so etwas noch nie und wahrscheinlich können es sich einige von euch auch gar nicht so genau vorstellen, wie es ist, weder zu riechen, noch zu schmecken. Also versuch ich es zu beschreiben, weil ich es äußerst spannend finde und euch zwar die Umstände, aber nicht die Informationen vorenthalten möchte.

Ich probiere mich durch die unterschiedlichsten „Geschmäcker“ und stelle immer wieder fest, dass ich die Essenz dessen, was ich gerade esse, schon schmecke. Also bei einer Olive die Bitterkeit, bei Chips die salzig-ölige Mischung. Bei Paprika die Süße, bei dunkler Schokolade die bittere Süße und bei Gurken die wassrig-süßliche sowie super knackige Konsistenz. Es fühlt sich so an, als würde der Geschmack aber für mehr leider nicht reichen. Als wäre mein Geschmackssinn leider nicht stark genug, den Rest verarbeiten zu können. Ich hab mich auch schon dabei erwischt, die Dinge fest zu zerdrücken, sie noch 10mal mehr zu kauen und sie so irgendwie empfänglich für irgendein tieferes Geschmackserlebnis zu machen – doch bisher ohne Erfolg.

Was ich auch noch festgestellt habe, ist, dass ich auch nicht rieche, ob ein Lebensmittel abgelaufen oder schlecht geworden ist. Ich kann es nicht sagen und muss wirklich auf das Aussehen vertrauen. Ich riech auch nicht, wenn etwas im Ofen anbrennt oder wenn ich mal wieder unter die Dusche soll. Tja. So ist das jetzt einfach nunmal.

Wie lange dieser Zustand andauert, ist unbekannt. Können ein paar Tage bis zu ein paar Monaten sein. Ich geh jetzt mal nicht vom Schlimmsten aus und hoffe, dass ich die volle Vielfalt bald wieder wahrnehmen kann.

Bis dahin wünsch ich euch da draußen viele Geschmackserlebnisse. Nehmt es nicht als zu selbstverständlich hin und erfreuet euch jeden Bissens, mit der Gewissheit, dass nichts gewiss ist.

Lagerbericht over and out.

(Ich sehe diesen Text als Informationsweitergabe, als Berichterstattung, als Erfahrungsmitteilung, vielmehr als Jammern oder Klein- bzw. Großspielen der Umstände. Es geht mir gut, keine Sorge. Ich hatte und habe Glück, auch dessen bin ich mir bewusst.)

Was immer noch hilft, übrigens hier zu finden: Was tue ich, wenn ich daheim bleiben muss?

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Eine Antwort zu „Auf bald, lieber Geschmack!“

  1. […] habe einiges nicht geschrieben. Ich habe gesagt, dass das Daheimsein seine Vorteile hat, dass der Geschmacksverlust zwar lästig, aber nicht bedrohlich ist. Ich habe geschrieben, dass es zwar ungut, aber zum […]

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