Alle Zeit der Welt

Unlängst war ich bei einer Tanzstunde. Nachdem die Musik aufgedreht wurde, bewegten wir uns alle im Raum. Die Anleitung der Tanzlehrerin war es, uns so zu bewegen, als hätten wir alle Zeit der Welt. Nein, sie formulierte es sogar anders: Wir haben alle Zeit der Welt. Und so bewegen wir uns.

Ich brauchte einen Moment, bis ich dieser Einladung folgen konnte. Zu fokussiert auf die Geschwindigkeit der Musik, zu mitgerissen von meinen eigenen Bewegungen war ich.

Alle Zeit der Welt.

Wie sollte ich mich bewegen? In Zeitlupe? So stark verlangsamt, dass ich mich fast nicht bewegte? Nein. Darum ging es nicht. Das verstand ich bald. Ich durfte mir alle Zeit der Welt nehmen. Hatte den Raum und – ja – die Zeit, mich auszubreiten, mich zu bewegen, mich in der Musik und diesem Moment zu finden.

Viel mehr als „nur“ um die Zeit, ergo Langsamkeit, ging es um mein Bewusstsein, mich ausbreiten zu können. Mir meine Zeit zu nehmen und mit meinem Tempo auf meinen Körper zu hören. Mich von meinen eigenen Impulsen und Bewegungen leiten zu lassen, anstatt einem vorgegebenen Takt zu folgen.

Ich hatte alle Zeit meiner Welt. Hatte all meine Zeit der Welt. Hatte jede Zeit. Hatte die ganze Zeit.

Und auch, wenn ich rational weiß, dass wir bei Weitem nicht alle Zeit der Welt haben (und unser Leben dadurch sinn(es)voll gestalten, das Beste draus machen und sonst noch alles sowieso am besten jetzt und nicht später machen sollten) gefällt mir dieser Gedanke. Die Umkehr. Dieses Hinausdenken.

Denn in dem Moment, in dem ich mir all meine Zeit nehme, mich voll und ganz darauf besinne und rückerinnere, dass ich mein Tempo mache, dass meine Bewegungen (mein Schaffen, meine Ideen, meine Lebensweise, meine Art usw.) im Grunde all die Zeit meiner Welt beanspruchen dürfen, in diesem Moment also, kann ich voll und ganz in meinem Rhythmus bleiben.

Ich fänds schön, wenn ich mich öfters daran erinnern würde, dass ich alle Zeit der Welt (oder meiner Welt) habe, dann würden sich manche Entscheidungen vielleicht auch nicht so dringend, oder manche Dinge nicht so schnell vorbeiziehend anfühlen. Und wer weiß – vielleicht würde ich diesen Raum dann auch anderen leichter geben?

Ganz klar ist auch, dass das nicht immer geht. Oder gehen muss. Doch ein Nachdenken darüber und das Zergehenlassen dieses Satzes auf der Zunge, das hat wahrlich etwas sehr Befreiendes, Erweiterndes, Friedliches.

Vielleicht hat mich diese Aussage auch einfach so berührt, weil ich ansonsten recht schnell bin. Denke. Gehe. Entscheide. Mache. Und sein will.

Mehr Raum in der Zeit nehmen. Das ist es, was ich will.

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