∆ Glück oder Unglück ∆

Es gibt so eine Geschichte, an die ich in diesem Moment denken muss. Ich hatte gerade einen sehr intensiven Moment hier auf der Insel und der stößt einiges an in mir.

Die Geschichte handelt von einem Mann, der sein Pferd verkauft und sich ein Bein bricht und eigentlich weiß ich gar nicht mehr genau, wie die Geschichte in allen Einzelheiten geht. Aber die Moral ist jedenfalls, dass der Mann jedes Mal, wenn ihm etwas „Gutes“ oder „Schlechtes“ widerfährt, sagt, dass es weder Glück noch Unglück ist. Und das ist auch der Punkt an den ich gerade denken muss.

Um euch meinen Gedankenhergang etwas genauer verständlich zu machen, erzähle ich euch von dem intensiven Moment, der sich vor etwa einer Viertelstunde in einem Gemüseladen zugetragen hat: Gastón und ich stehen in diesem Geschäft und kaufen wunderbare Früchte und Gemüse ein. An der Kassa bemerke ich, dass die Mango nicht einmal 50 Cent kostet und die ganzen Lebensmittel gemeinsam ca. 2 Euro kosten. Ich freue mich sehr darüber, berichte Gastón ganz aufgeregt davon. Der scheint mich nicht zu hören, ich sage es noch einmal voller Freude und er antwortet mir nur kurz, dass ich bitte aufhören soll, das hier zu besprechen.

Ich verstehe die Reaktion nicht. Ist doch wunderbar, dass wir diese wunderbaren Dinge für so wenig Geld bekommen, oder etwa nicht? Gastón meint, nachdem wir das Geschäft verlassen haben, dass ich so etwas bitte nicht vor dem Verkäufer sagen soll. Dass es wohl einen weltzusammenhängenden Grund gibt, warum es hier so günstig ist und dass es diesem Verkäufer gegenüber unfair ist, in so einer Art zu sprechen.

Schön langsam verstehe ich, was los ist. Ich komme mit meiner europäischen (oder vielleicht eher österreichischen) Überzeugung, mit meinem österreichischen Geld, mit meiner fremden Sprache, mit meiner fremden Kultur, ja mit meiner überheblichen Art hier an und freue mich noch, wie „cheap“ hier nicht alles ist. Natürlich stelle ich das Ganze (mich) gerade sehr überzeichnet dar. Aber wenn ich es herunterbreche, ist es so.

Ich bin in einer komplett anderen Kultur aufgewachsen. Mein Alltag war und ist anders. Ich bin als Touristin hier, ich gehöre in gewisser Weise nicht hierher. Ich fühle mich wirklich blöd, dass ich daran nicht denke. Dass ich hier erstmals mit „ärmlichen“ Verhältnissen konfrontiert bin. Wirklich konfrontiert. Dass es nämlich absolut nicht selbstverständlich ist, dass alles immer glatt läuft. Dass es schon gut wird. Dass immer Essen und Trinkwasser und Bildung und sonstige Späße verfügbar sind. Nein, wir sind hier nicht in den Favelas von Rio. Das hier ist eine Insel, die genau von solchen Menschen wie mir lebt: Touristinnen und Touristen, die ihren Urlaub hier verbringen und die auch – ja, genau – die Ananas und die Mango irgendwo kaufen. Zu wirklich günstigen Preisen. Aber wir sind in Südamerika. Wir sind auf einem anderen Teil der Welt, in dem es für mich noch so einiges zu erfahren gibt.

Es tut sich ganz schön was in mir. Natürlich – so argumentiere ich es mir in meinem Kopf auch schön – die Früchte wachsen hier und sind deshalb günstiger, als wenn sie Tausende von Kilometern weit herumgeschippert werden müssen. Aber – und das muss ich mir eingestehen – dass es hier (ich verallgemeinere jetzt einfach diesen RIESENkontinent) viele, viele Menschen gibt, die weit unterhalb der Armutsgrenze ihr Leben leben, hat auch viel damit zu tun, dass es mir bisher immer so gut gegangen ist. Die Welt und ihr Reichtum ist komplett unfair verteilt.

Und das, was mich am meisten berührt: Weder ich, noch irgendjemand auf dieser Insel, hat sich ausgesucht, auf diesem oder jedem Fleck der Erde geboren zu werden. Und ich bin mir oftmals auch gar nicht mehr so sicher, ob das „einfachere“ Leben hier vielleicht nicht oftmals sogar sinn-voller ist, als unser ganzes Karriere-Konsum-Geldsparen-Effektivsein.

Und so schließt sich der Kreis dieses gesellschaftskritischen Texts (ja, auch das kann sie): Ob es Glück oder Unglück ist, auf welchem Teil der Welt wir ausgespuckt worden sind, bleibt offen. Es geht hier gar nicht darum, etwas schön- oder schirch zu reden. Es geht darum, die andere Seite(n) auch zu sehen. Es geht darum, etwas mehr Ein- und Weitsicht zu bekommen. Etwas mehr Einfühlungs- und Zusammengehörigkeitsvermögen (das ist ab heute ein Wort.).

Meine Gedanken werden hier wohl immer wieder von Neuem anstupst werden. Reisen. Das geht tief.

• K •

P.S.: Die Fotos kommen hier im Anschluss, weil sie zwischendrin im Text nicht passen und weil das Ganze dann nicht so trüb wirkt:

Schaut euch das an – aus Plastikflaschenböden! Sehr kreativ!
Hier überwächst der Dschungel die Häuser
Hier sogar noch mehr!
Das heißt „Vielen Dank“ – obwohl die wörtliche Übersetzung „Dankchen“ bedeutet. Wie wunderschön, dieses Wort.
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