∆ Aufs und Abs ∆

Reisen ist immer schön. Immer entspannend. Immer voller Freude und voller guter Momente. Es ist immer einfach, weil es ja keine Regeln und keine Vorschriften gibt.

Hier glücklich in einer Spielzeugausstellung

So sieht es auf den Fotos aus, so sind die Reisegeschichten meistens. Und ich werde heute und jetzt etwa zugeben: Das ist nicht so. Reisen ist auch anstrengend, nicht schön und nicht immer voller Freude.

Hier immer noch ziemlich glücklich, allerdings im falschen Moment fotografiert – mit Gastóns Freund Gaspar waren wir am Fluss, Mate trinken und übers Leben reden

Ich habe in den letzten Wochen einige Auf und Abs erlebt. Und davon werd ich euch jetzt berichten.

Also die Abs. Hu. Ich sags euch. Es ist anstrengend, die Sprache des Landes nicht zu sprechen. Ich kann nicht sagen, was ich brauche oder will, kann meine Ideen nur schwer teilen, kann zuhören, aber nicht wirklich antworten. Natürlich, ich verstehe immer mehr, darauf bin ich wirklich stolz – noch nie in meinem Leben habe ich eine Sprache so in der Praxis gelernt. Ich konnte bei den anderen Sprachen zumindest einige grammatikalische Strukturen und Muster. Und jetzt sitz ich hier, brauche lange, um einen Satz herauszubekommen und fühl mich dabei manchmal einfach überfordert und entmutigt.

Alles ist ein Prozess und ich merke natürlich, dass es in eine gute Richtung geht, aber – und das muss ich leider zugeben – meine Ungeduld trägt nicht zu meiner Zufriedenheit bei. Gastóns Eltern sind so geduldig mit mir, erzählen mir so viel und freuen sich jedes Mal, wenn ich etwas mehr verstehe. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Aber wenn ich dann wieder mal nicht sagen kann, weil ich die Wörter noch nicht habe, oder zu schüchtern bin, dann ist das ziemlich frustrierend.

Gastóns Mama hatte zwei Tage nach mir Geburtstag – hier feiern wir gemeinsam mit zwei Kuchen und lustigen Kerzen

Ein weiteres Ab, das ich hier gerade spüre, ist Abhängigkeit. Es ist wunderschön, dass Gastón sich um mich kümmert, er macht das wirklich gut und mit ganzem Herzen. Und dieses auf-ihn-Verlassen macht mich natürlich in gewisser Weise abhängig von ihm. Er wirds schon richten, er wirds schon übersetzen, er wirds schon lösen. Ich verlasse mich auf ihn und er übernimmt ganz viele Aufgaben hier – für uns beide. Und damit versetze ich mich selbst in eine Abhängigkeit, die ich nicht mag. Natürlich ist es schön, wenn alles für mich gelöst wird, aber meine Komfortzone verlasse ich dadurch nicht. Ich merke das erst, wenn ich zwider werde, obwohl doch alles für mich einfach sein sollte. Und wenn ich dann gemein werde, weil alles für mich gemacht wird, merke ich, dass ich mich in einem Zustand befinde, den ich war nicht so gerne mag, der aber jetzt in dieser Zeit gerade Realität ist. Dass das nicht für immer anhalten wird, ist klar. Dass dieser Moment auch nicht das ganze Leben ist, das darf ich dabei lernen.

Das Zusammenleben mit einer Familie, die einen eigenen Rhythmus hat, hat seine wunderschönen, aber natürlich auch intensiven Seiten. Ich mag Gastóns Eltern von Herzen gern, sie sind so zuvorkommend und lieb und geduldig und verständnisvoll zu und mit mir. Ich bin so so dankbar, dass ich sie kennenlernen darf. Und manchmal merke ich einfach, dass ich durch meine bisherigen Erfahrungen auch mal keinen Rhythmus oder eben meinen eigenen Rhythmus leben möchte. Und das ist in diesen Umständen nicht so leicht.

Apropos Rhythmus – hier in einem der feinsten Buchläden, die ich je sehen durfte

Gastón und ich haben das letzte Wochenende – inklusive meinen Geburtstag – in der Wohnung eines Freundes verbracht und das hat uns so richtig gut getan. Wir hatten unseren eigenen Rhythmus, haben getan und nicht getan, was wir (nicht) wollten und gemerkt, dass wir sehr bereit sind für das Leben zu zweit gemeinsam an einem Ort. Es ist natürlich anders, einen Raum oder eine ganze Wohnung ganz für uns alleine zu haben. Ich kann mich im Haus überall frei bewegen, natürlich! Aber es ist halt einfach nicht mein Haus und das ist auch ok so. Wir haben am Ende des Wochenendes festgehalten, was uns so gut tut und sind draufgekommen, dass wir das ganz einfache und leise Leben gemeinsam so genießen. Wenn wir Musik hören, Kuchen backen und zusammen alleine sein können, dann sind unsere Wohlfühlbedürfnisse weitgehend gedeckt.

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So fein! Das ist die Geburtstagswohnung hier mit Lichterkettengemütlichkeit

Eine weitere Sache, die einige Tränen mit sich bringt, ist, dass ich einfach manchmal gern Zuhause wäre. Mit meiner Familie einen gemütlichen Sonntag zu verbringen, die Sprache sprechen, die ich am besten verstehe und die kleinen (kulturellen, familiären, alltäglichen) Zwischendinge ohne Nachdenken und Nachfragen einfach mitzuleben. Das wünsche ich mir manchmal und das ist auch das, worauf ich mich so freue. Ich weiß, dass ich (quasi) mein ganzes Leben daheim war und auch mein kommendes Leben (ach, ich schreibe, als gäbe es mehrere Leben!) daheim sein kann. Ich weiß auch, dass ich jetzt in diesem Moment hier bin und alles aufsaugen soll, was ich aufsaugen kann. Aber ich gebe es zu: Manchmal wärs so schön, wenns einfach einfach wäre. Und Bekanntes ist einfacher. Zumindest von weit weg.

Und was als „ach so interessant“ und „wichtig für die Erweiterung der Blickwinkel“ angesehen wird, kann manchmal einfach ermüdend und aaaanstrengend sein: kulturelle Unterschiede. Wie oft ich Sachen einfach nicht verstehe, anders interpretiere oder mache, weil ich in einer anderen Kultur aufgewachsen bin! Ich sehe so viele Gemeinsamkeiten und trotzdem komme ich immer wieder zu dem Punkt, dass ich etwas nicht verstehe – und da red ich jetzt nicht allein von der Sprache – und komplett anders aufnehme, als es intendiert war.

Zum kulturellen Unterschied noch ein Foto: Das ist der Altar von einem Gaucho (Gauchito Gil, falls wer recherchieren mag) – eine Opferstätte, zu der Menschen tagtäglich ihre Opfergaben bringen

Das mit dem Unterbrechen hab ich euch ja schon gesagt. Aber da gibt es noch eine Sache, die mich fürchterlich ärgern kann (wenn ich im richtigen – also eigentlich falschen – Gemütszustand bin): das komplett andere Einschätzen und Einteilen von Zeit. Wenn wir sagen, dass wir in einer Viertelstunde etwas machen, dann bin ich in einer Viertelstunde fertig. Weil ich ja weiß, dass wir was machen und ich ja antizipieren kann, wie lange ich für gewisse Dinge brauchen werde.

Das ist hier nicht so. „Wir essen gleich“ heißt bei mir: Wir essen gleich. Dass das dann aber bis zu zwei Stunden dauern kann, verstehe ich schlichtweg einfach nicht! Es ist wirklich so: Ich verstehe es mit meinem Verstand nicht! Wenn ich sehe, dass alles halbfertig ist, dann kann ich doch cirka einschätzen, wie lange das Essen (das Zusammenrichten, Duschen, der Weg irgendwohin, etc. – die Liste ist lang) dauern wird. Oder etwa nicht? Das macht mich manchmal fertig. Und ganz huschig. Und dann trägt das nicht grade zur Harmonie bei.

Der trägt allerdings sehr zur Harmonie bei! Die Streusel wollte ich unbedingt haben

Ich lerne immer mehr, mich einfach auf Situationen einzulassen. Nehme meinen Block und meinen Stift zum Esstisch, weil ich mittlerweile weiß, dass ich leicht Zeit habe, ein paar Dinge aufzuschreiben oder zu zeichnen. Aber manchmal, da reichts mir einfach und da möchte ich in meinem effektiven Zuhause, umgeben von planmäßigen Abfahrten und verlassenswerten Angaben sein. Aber ja, das ist wohl etwas, das ich hier lernen darf und gezwungenermaßen lernen muss: Geduld.

Das schreib ich dann auf, um von den Abs leichter zu den Aufs zu kommen

Wie ihr seht, sind meine Abs auch mit vielen Aufs gekoppelt. Ich kann das Gute im Unwohlsein herausfiltern, früher oder später. Ich schreibe das alles nieder, weil ich mich und meine Gefühle dadurch besser verstehen kann. Und weil ich es fair finde, auch das zu teilen. Natürlich versuche ich mich auf das Gute zu konzentrieren. Aber manchmal geht das einfach nicht so einfach. Und das ist etwas, das ich lernen durfte. Dass es komplett und vollkommen ok ist, auch mal unten zu sein. Auch mal unzufrieden und zwider und überfordert zu sein.

Und das mach ich hier auch gerne: mit Gastóns Farbenstäbchen aus der Volksschulzeit spielen. Das beruhigt und macht mich zufrieden

Und warum ich das dann alles mache? Weil ich mich wachsen sehe. Ich sehe, wie ich tagtäglich über mich hinauswachse und die Vorstellungen im meinem Kopf umwerfe, zerstöre und anders und neu wieder aufbaue. Weil ich es mag, gefordert zu werden. Weil es für mich dazugehört, einen Weltblick zu bekommen. Weil es für mich wichtig und sehr aufschlussreich ist, dass ich die Kultur, die Familie, das Land, die Leute, aus denen mein Freund kommt, kennenlerne. Weil das Leben – egal, an welchem Ort ich mich befinde – immer wieder Herausforderungen bergen wird. Und weil ich mit diesen Erfahrungen, die ich hier machen darf, mit den Reflektionen, für die ich hier Zeit habe, mit dem Verständnis fürs anders-als-ich-Sein, das ich hier aufbaue, viel mitnehmen kann in jegliche Lebenslagen. Weil ich weiß, dass alles vorbeigeht – das Gute und das Schlechte, weil ich jetzt hier bin und weil ich mich gegen ganz viele Konventionen (in meinem Kopf) daheim durchsetzen musste, um heute hier sein zu können.

Apropos Kennenlernen von Gastóns Herkunft: Hier ein zuckersüßes Foto von ihm! Ich liebe es!

Morgen gehts ab zu einer Comicconvention mit einem Freund von Gastón, jetzt werden wir unsere Serie auf Netflix weiterschauen und nächste Woche darf ich eine Spielgruppe in der Nachbarschaft besuchen. All das und vieles mehr erwartet euch in der nächsten Folge von „Katharina mag das Reisen trotzdem“.

Ich danke euch fürs Lesen meiner Gedanken.

• K •

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